Stehende Ovationen für klassische Panflötenmusik
Werne. Duftig hingehaucht, als wehe eine leichte Frühlingsluft durch die frühherbstliche Stimmung – so begann Hannah Schlubeck am Donnerstagabend ihr Konzertprogramm mit der Sonate F‑Dur von Georg Philipp Telemann.
Sie spielte ein Instrument, das kaum jemand mit klassischer Musik in Verbindung bringen wird: eine Panflöte. Und sie interpretierte die lebhafte Barocksonate mit der agilen Leichtigkeit, die dieses Instrument auszeichnet und die es mit der Blockflöte gemeinsam hat, für die Telemann seine Sonate ursprünglich schrieb.
Schlubeck ist die einzige Absolventin einer Musikhochschule im Fach Panflöte. Zusammen mit dem Pianisten Thorsten Schäffer bot sie einen außergewöhnlichen Auftakt zur Saison 2022/23 der Gesellschaft der Musikfreunde. Ihr Auftritt bedeutete gleichzeitig einen Testlauf für das neue Übergangsquartier der traditionellen Kammerkonzertreihe. „Nach Absagen wegen der Coronapandemie und des Ukrainekrieges mussten wir vor dieser Saison mit einer neuen Herausforderung kämpfen“, erklärte die Vorsitzende der Musikfreunde, Dr. Susanne Vedder, vor Beginn der Veranstaltung. Wegen unzureichenden Brandschutz im Bürgersaal des Alten Rathauses finden die Konzerte der Saison im Foyer der Marga-Spiegel-Schule statt. Dessen Akustik erwies sich als tragfähig: Wuchtige Klangmalereien kamen ebenso raumfüllend zur Geltung wie fein gezeichnete Tonlinien.
„Die meisten Werke, die Sie heute hören, wurden nicht für Panflöte komponiert“, erklärte Hannah Schlubeck. Obwohl es eines der ältesten Instrumente der Welt sei, entstanden aus einfachen Schilfrohren, hätten es die meisten Komponisten vernachlässigt. Schlubeck bewies, wie vielseitig ihr Instrument agieren kann, wenn man es ihm nur zutraut. Ihr Programm spannte den Bogen vom Barock bis zum modernen Jazz. Und die Panflötistin bespielte die gesamte Bandbreite mit hartem Forte, ätherischem Piano, virtuosen Läufen und verschmitztem Staccato.
Gestützt von Thorsten Schäffers prägnanter Klavierbegleitung entfaltete sie Bachs „Air“ aus der Orchestersuite Nr. 3 schön durchhörbar – ohne zu tun, was manche Interpreten nicht lassen können, nämlich die feinen Melodiebögen in rührseligem Brei zu ertränken. Donizetti schmeichelte sich in die Ohren der fast 150 Zuhörer, einer der Ungarischen Tänze von Johannes Brahms riss sie am Ende von den Stühlen. Dabei stand Thorsten Schäffer ihr an Virtuosität nichts nach, ebenso wenig wie beim jazzigen Groove.
Zwischen den Stücken erläuterte Schlubeck ihrem Publikum unterhaltsam die Eigenarten der Panflöte. Wie der Ton erzeugt wird, demonstrierte sie mit dem Griff zur Wasserflasche, über deren Öffnung hinweg sie gekonnt „Hänschen klein“ intonierte. Zwischendurch trank sie ein paar Schlucke, um die Tonhöhe zu verändern. Was der Panflöte fehlt, sind die Halbtöne. Diese lassen sich erzeugen, indem die Rohre mit den Lippen teilweise abgedeckt werden. Auf diese Weise gelang Hannah Schlubeck beim Jazzsong „The Autumn Leaves“ ein perfekt skaliertes chromatisches Glissando. Am Ende erhob sich ein begeistertes Publikum von den Stühlen und klatschte eine fulminante Zugabe heraus. Zu keiner Zeit spielte es eine Rolle, dass Schlubeck mit einer Contergan-Behinderung spielte.
INFO
Das nächste Konzert in der Reihe der Musikfreunde Werne findet statt am 20. Oktober 2022 ab 20 Uhr im Foyer der Marga-Spiegel-Sekundarschule. Es gastiert das Odelya Trio Mari mit Saxophon, Gesang und Klavier.
von Anke Schwarze. Erschienen bei WERNEPLUS, 16.09.2022